3.2. Die Versicherungen auf Gegenseitigkeit

Die Solidargemeinschaft der Versicherten ist, wenn sie auch nicht immer in der Rechtsform der Genossenschaft geführt wird, grundsätzlich dem Genossenschaftsgedanken nahestehend. »Wir sind eine starke Gemeinschaft« ist der Werbespruch einer Versicherungsgesellschaft, die aus imagestrategischen Gründen ihre kapitalrational und bürokratisch-anonym geführte Unternehmung in den Hintergrund stellt. Daß diese Werbestrategie Anklang findet, liegt weniger an einem möglicherweise vorhandenen Täuschungsgeschick des Unternehmens als daran, daß es mit dieser Selbstdarstellung trifft, was der Versicherungskunde erwartet. Die Frage nach dem Schein und der Wirklichkeit möchte ich hier nicht vertiefen[487], sondern nur darauf [S. 250] hinweisen, daß die Idee der Versicherung und das Bedürfnis des Versicherten deutlich mit Gemeinschafts-Gedanken einhergehen.

Im Grunde beruht der Versicherungsgedanke auf dem Problem der Unsicherheit individueller Existenz. Erkrankungen sind im Durchschnitt einer Population gesehen erwartbar, ob und wann es den einzelnen trifft hingegen nicht. Durch Vorsorge und Risikostreuung wird das Einzelrisiko wiederum tragbar. Man beteiligt sich an den Durchschnittskosten einer Risikoart und wird dadurch finanziell von dem Einzelrisiko befreit. Der sich einstellende »Seelenfriede« angesichts einer bewältigten Ereignisfurcht zählt wohl zu den höheren Bedürfnissen menschlicher Existenz. Auch wenn Unternehmen fusionieren und Monopole bilden, steht dahinter nicht mehr als der Wunsch, einen mit Unsicherheiten behafteten Markt unter die eigene Kontrolle zu bringen. Nicht viel anders steht es um die Bewältigung der menscheneigenen Existenzängste und Wiedererlangung des Seelenfriedens im Versicherungsgewerbe, wenn hier auch nicht ungünstige Marktereignisse, sondern überwiegend unvorhersehbare Unglücksfälle bewältigt werden sollen.

Die Vergangenheit der »Versicherung« bestand in der Familien-, Dorf-oder Clangemeinschaft, in der sich die Personen als Schicksalsgemeinschaften die Lasten ungünstiger Ereignisse teilten oder das Risiko vorhersehbarer Altersbedürftigkeit durch generationenübergreifende Sozialnormen regelten. „Diejenigen Unglücksfälle, welche hauptsächlich die materielle Lage der ländlichen Arbeiterbevölkerung bedrohen, sind Brandschäden, Viehsterben, andauernde Arbeitsunfähigkeit oder der Tod des Familienoberhauptes; gegen die nachteiligen Folgen dieser muß sie sich vor allen Dingen zu schützen suchen.“[488] Für diese Fälle hatte man 1874 bereits Feuer-Versicherungs-Gesellschaften auf Gegenseitigkeit, genossenschaftliche Viehversicherungsvereine sowie Kranken-, Sterbe-, Begräbnis-, Witwen-und Invaliden-Kassen eingerichtet[489]. Ferner sind aus den städtisch-industriellen Bezirken die Wanderkassen der Gesellenvereine, Streikkassen der Gewerkvereine und Arbeitslosenkassen der Gewerkschaften bekannt. In ihnen fanden sich Personengruppen mit bestimmten Risikomerkmalen zum Zwecke ihrer wechselseitigen Absicherung zusammen.

»Moderne« Versicherungen, seien es die auf Sozialversicherungsrecht beruhenden staatlichen, die auf Gewerbeinteresse beruhenden privaten oder der 1922 gegründete Vorläufer der heutigen Raiffeisen-und Volksbanken-Versicherung[490], sind in Richtung einer Entpersönlichung weiter fortgeschritten. Sie tragen damit nicht nur der heute vorherrschenden individualistischen Lebenskonzeption [S. 251] Rechnung, sondern ermöglichen diese in vielen Fällen überhaupt erst. Der Einzelne wird mittels der anonym käuflichen Rückversicherung unabhängig von konkreten Personen und kann sich einklagbare Ansprüche aufbauen, statt im Notfall auf die Tragfähigkeit persönlicher Bindungen angewiesen zu sein.

Es gibt an der modernen Form der Versicherung eigentlich nichts zu kritisieren, sofern sie eine Bereicherung möglicher Lebenskonzeptionen darstellt. Eher erscheint mir das Fehlen einer originär genossenschaftlichen Versicherungseinrichtung als Verlust möglicher Vielseitigkeit. Weil der Akt der Versicherung dem Genossenschaftsgedanken nahesteht und der fehlende genossenschaftliche Organisationsgrad als Sieg der Institutionen über die Gemeinschaften auch mit Verlusten einhergeht, möchte ich das Thema hier vertiefen.

Die Hauptarbeitsleistung moderner Versicherungen besteht aus Sicht des Versicherungskunden in dem Aufbau eines Umverteilungsmechanismus. Der Kunde schließt keinen Vertrag mit der Versichertengemeinschaft, sondern einen zweiseitigen Vertrag mit dem Versicherungsunternehmen. Dem Unternehmen gegenüber verpflichtet sich die Person zur Beitragszahlung, und von dem Unternehmen fordert sie Zahlungen im Falle des Eintretens vordefinierter Ereignisse. Ist das Ereignis nicht exakt vertragsgemäß, wird das Unternehmen die Zahlung verweigern, völlig gleichgültig, wie schwerwiegend eine Notlage den Versicherten belastet. Das ist so auch fair und gerecht, denn klare Verträge und nicht lebendige Solidargemeinschaft sind das Fundament des Versicherungsunternehmens. Sofern ein Unternehmen die Risikoereignisse sachlogisch umfassend und gut abgegrenzt zusammenstellt, wird es mit den Erwartungen des Kunden auch nicht kollidieren. Es liegt zumindest in dem Eigeninteresse der Unternehmen, den Kunden im Schadensfall nicht zu enttäuschen. Werden dann aber doch in der Öffentlichkeit Fälle solcher Enttäuschung bekannt, dann zeigt sich schlaglichtartig der im Grunde ständig vorliegende Interessengegensatz von Kunde und Unternehmen, der nur deswegen weitläufig in den Hintergrund tritt, weil das Unternehmen mit seinem Erfolg genuin davon abhängig ist, dem Kunden »zu Dienste« zu sein. Es muß demnach eine perfekte Imitation der Solidargemeinschaft produktmäßig anstreben, ohne jedoch jemals Solidargemeinschaft zu sein.

Das merkt man umgekehrt am deutlichsten in den Fällen des Versicherungsbetruges und Leistungsmißbrauchs. Sie sind moralisch erleichterte Formen des Diebstahls, weil sie im Grunde »gegen Unbekannt« erfolgen. Geschädigt wird eine anonyme Gruppe von Versicherten, die hinter dem Umverteilungsmechanismus des Unternehmens steht. Das Gebot »Du sollst nicht stehlen«, das selbst in einer Gemeinschaft von Dieben untereinander gilt, hingegen historisch etwa zwischen den christlichsten Eroberern und den eroberten Kolonialvölkern nicht galt, ist ein genossenschaftliches Vertrauensgebot. Seine Gültigkeit ist, wie OPPENHEIMER zeigte, begrenzt auf den inneren Kreis einer sozialen Gruppe, ist ein Gebot der zwischenmenschlichen Bindung. Dagegen bereitet es dem Fremden gegenüber bereits weit weniger »Gewissensbisse«, wenn ohne gerechten Tausch genommen wird, was man begehrt. Gegenüber einer Unperson, einer anonymen Institution, ist [S. 252] die moralische Kraft des natürlich sozialen Verhaltens noch geringer. Damit das Gebot unter sozial unverbundenen Personen wirkt, bedarf es etwa der höheren Instanz eines Gewissens (eines Gottes), dessen Gebote zu verletzen der Mensch nicht wagt, oder eines strafenden Armes des Gesetzes, der allerdings nur wirken kann, wo er ein Vergehen sieht, oder aber einer umfassend-abstrakteren Gesellschaftskonstruktion.

Die moralischen Imperative einer Gesellschaftskonstruktion kann das Individuum annehmen, wenn ihm durch Erklärung oder Erziehung seitens des Gesellschaftskollektivs eine überindividuelle Perspektive nahegebracht wurde, in der der OPPENHEIMERsche Gerechtigkeitsbegriff der »subjektiven Reziprozität« (? 154) gilt. Das heißt, die Appelle der Gemeinschaft erlangen Berechtigung, indem sich die Gemeinschaft als Einheit wechselseitig verbundener Personen im Guten erweist. Aus der gewachsenen Dankbarkeit ihrer Atome gegenüber dem Ganzen leitet dann das Ganze den berechtigten Anspruch des Zusammenhaltes und der Opferbereitschaft in der Not ab. Die Selbstbegründung einer sozialen Einheit geht über von Fiktion in Realität, wenn sie mit den gemachten Erfahrungen ihrer Mitglieder übereinstimmt. Das heißt, es gibt keine Ansprüche aus dem formulierten Wort heraus (oder aus »Sonntagsreden«), sondern was ist zählt, worüber Worte allenfalls geschickt täuschen können.

Der Raub ist in sozial nicht wechselseitig verbundenen Beziehungen ähnlich »untadelig«, wie der Raub gegenüber dem Tier als Lebewesen. Manch ein Tierschützer akzeptiert das Tier als höhere Kreatur, sieht sein Leiden, empfindet Mitleid und verurteilt jede Form der Quälerei. Andere Menschen wiederum sehen das Tier als eine Sache und verstehen vermutlich ernsthaft nicht, wie sich Menschen mit dem Leiden von Tieren identifizieren können. Auch Menschen, die sich in einem Krieg gegeneinander befinden, verstehen denjenigen aus ihren Reihen nicht, der den Feind noch als Menschen mit Rechten anerkennt. Ich denke, dies ist Teil unserer biologischen Vorcodierung, der verstanden und gehandhabt werden muß.

Für jede Art der Versicherung oder sozialstaatlichen Umverteilung gilt, daß diese nur auf der Grundlage eingebildeter oder tatsächlich vorhandener Fairnessgebote funktioniert. Wo aber keine Gemeinschaft vorliegt, nimmt der Mensch in der Regel auch eine nicht-gemeinschaftliche Haltung gegenüber den Einrichtungen ein. »Wer Beiträge zahlt, erwirbt das Recht herauszuholen, was sich herausholen läßt.« Diese Vorstellung orientiert sich nicht mehr an tatsächlichen Schadensfällen und dem Gedanken der Risikoabsicherung, sondern an dem Gedanken der in wirtschaftlichen Belangen üblichen Vorteilsmaximierung.

Damit sind die anonymen Institutionen einer Bedrohung oder Tendenz des Funktionsverlustes im engeren Sinne ihres Regelungswerkes ausgesetzt, die ich hier nicht beklagen möchte, sondern die mir als eine, von Genossenschaften ausgestaltbare, funktionale Lücke erscheint. Voraussetzung wäre allerdings die Existenz echt genossenschaftlicher Organisationszusammenhänge, in denen die Genossenschaft solidarisch ihre Grundversorgung organisiert und lediglich außerordentliche Schadensfälle bei einem Dachverband rückversichert. Aus der gelebten [S. 253] zwischenmenschlichen Beziehung heraus könnte die Solidarität der Versicherten dann keine Maske für Umverteilungsmechanismen und Maximierungsgebote, sondern eine Mischung aus (vorausschauender) Organisation und Gewissensentscheidung sein, in der die Bedrohung menschlicher Individualexistenz als Problem erkannt wird und nur aus diesem Grunde auch Absicherung erfährt.

Neben der Aussicht auf Rationalitätsgewinn bei den reinen Versicherungsleistungen ist die Versicherung für den Gesamtkomplex eines »Genossenschaftswesens« aber auch als Sammelbecken für Kapital zu sehen[491]. In dem vorangegangenen Abschnitt über die Wohnungsbaugenossenschaften zeigte sich, daß die Baugeldbeschaffung in der Vergangenheit günstig durch eine Kooperation mit den Rentenversicherern gelöst werden konnte. Die Lebensversicherungen der Landwirte gaben ihre Kredite in erster Linie an landwirtschaftliche Erwerbsunternehmen. Auch unsere Lebensversicherungen sind bis heute für Baumaßnahmen beleihbar. Und nicht minder steht etwa die private Altersvorsorge in der Form geschaffenen Wohnraumes sowie die private Altersvorsorge in der Form eines Renten-oder Versicherungsanspruches sachlogisch eng nebeneinander. Die Frage wäre, ob eine speziell genossenschaftlich orientierte Versicherung diese beiden Interessen nicht miteinander verbinden und auf höherem Niveau optimieren könnte.

Wir erkennen die OPPENHEIMERsche Gruppenpsychologie des organisierten Wir-Interesses (Genossenschaft) und die Problematik des organisierten Ich-Interesses (Herrschaft) auf dem Versicherungsmarkt. Ein integrales Genossenschaftswesen wird gerade in diesem Marktsegment einen natürlichen Vorteil genießen, weil durch persönliche Bindungen das Betrugsrisiko sinkt und eine Absicherung somit beitragsgünstiger angeboten werden kann. Als Sammelstelle für wertbeständige Vorsorgeanlagen (Lebensversicherung) ist sie garadezu natürlicher Partner der Baugenossenschaft. Und ob sich nicht z. B. auch Arbeitsplätze leichter einrichten ließen, wenn spezielle Versicherungskonstruktionen den Verlust von Arbeitsmöglichkeiten absichern würden, müßte geprüft werden. Zumindest geht meine Tendenz dahin, den »Arbeitsplatz« als ein Dienstleistungsprodukt des Unternehmers nach innen, das als solches seinen Preis hat, zu verstehen (? 298). Was seinen Preis hat, kann man im Prinzip auch kaufen und bei Verlust ersetzen. Wäre nur die Frage, ob die Versicherungsprämien bezahlbar wären und welchen Gesetzen das Risiko folgt. [S. 254]

3.3. Die Sparvereine und Kreditgenossenschaften

Die Genossenschaftsbanken bieten heute alle am Markt üblichen Bankleistungen an. Sie bilden neben den Privatbanken und Sparkassen eine »dritte Säule« des deutschen Bankensystems[492]. Allerdings führt die Umkehrung der Leistungsfeststellung und Frage, welche ausschließlichen Leistungen sozialwirtschaftlicher Natur seitens der Genossenschaftsbanken organisiert werden, die nicht in gleicher oder ähnlicher Weise von anderen Banken oder Versicherungen angeboten werden, unmittelbar zu dem Punkt der genossenschaftlichen Wesensbeurteilung und Identität der Institute. Gewiß, den Sparkassen (= Säule 1 mit 46,8 % Anteil an der Bilanzsumme aller Universalbanken), Kreditbanken (= Säule 2 mit 33,6 %) und Genossenschaftsbanken (= Säule 3 mit 19,6 %[493]) haften Charakteristika an, die sie voneinander unterscheidbar hält. Doch liegt das Hauptunterscheidungsmerkmal der drei Banktypen wohl in der Beschaffungsmethode ihrer haftenden Kapitaleinlage. Die Sparkassen als Einrichtungen der Kommunen und Landkreise sind in letzter Konsequenz mit öffentlichen Haushalten verknüpft, die Privatbanken greifen auf Aktionärseinlagen zurück, und die Genossenschaftsbanken organisieren sich eben auf der Basis kapitalzuführender Genossenschaftsanteile.

Die Erfolgsgeschichte der deutschen Genossenschaftsbanken beruht ohne Zweifel auf dem Umstand, daß die Beschäftigten und Führungskräfte der Genossenschaftsbanken rational denkend ihre Bank (bzw. Arbeitsplätze) jeweils so organisiert haben, wie dies für die Bank und damit ihrem eigenen Berufsinteresse angemessen erschien. Wenn es einer Bank gelingt, einerseits dem Kunden gerecht zu werden und andererseits das eingelegte Kapital angemessen zu verzinsen, dann dürfte ihr der Erfolg auch weiterhin sicher sein. Anerkannt werden muß ferner, daß die Genossenschaftsbanken in einem insgesamt genossenschaftsmüden Umfeld ca. 75 % aller Genossenschaftsmitglieder der Bundesrepublik stellen, mit ihren starken Revisionsverbänden die genossenschaftliche Infrastruktur sichern und den größten nicht-staatlichen Beitrag zur finanziellen Unterstützung der Forschung auf dem Genossenschaftssektor leisten.

Dennoch möchte ich den kritischen Thesen OSWALD HAHNs[494] und HANS-H. MÜNKNER[495] folgend -ihre Wiedergabe würde drei Textseiten füllen -die Frage aufwerfen, ob unter den gegebenen Randbedingungen des Kredit-und Kapitalmarktes [S. 255] andere Genossenschaftskonstruktionen möglich und wünschenswert wären. Die Dimension der Problematik und der Umstand, daß die bislang erschienene wissenschaftliche Literatur zur genossenschaftlichen Bankenproblematik an dieser Stelle unmöglich angemessen berücksichtigt werden kann, nötigt erneut, von den real bestehenden Genossenschaftsbanken zu abstrahieren und dem real Gewordenen das theoretisch Denkbare gegenüberzustellen. Durch Hervorhebung einer möglichen, genossenschaftspolitisch aktiven Position der Genossenschaftsbanken soll nachgefragt werden, was Kritik alleine nicht darstellen kann.

3.3.1. Genossenschaftswesen und Geldverkehr

Ein Genossenschaftswesen verlangt zur Abwicklung seiner an Geld gebundenen Aktivitäten scheinbar natürlich nach einer genossenschaftsnahen Bank. Die »Caja Laboral Popular« als zentrale Einrichtung des Genossenschaftskomplexes von Mondragón, die »Ökobank« als gedachte Einrichtung eines alternativ-ökonomischen Wirtschaftsverbundes sowie die weltweit bestehenden Arbeiterbanken[496] deuten auf diese Neigung hin. Die Motive dazu liegen vor allem in dem Wunsch, die »eigenen« Banken mögen den eigenen Problemlagen näherstehen und somit

a) realistischere Risikoeinschätzungen vornehmen und b) spezielle Dienstleistungen erbringen.

Bezüglich Punkt a) ist es nur logisch, daß eine Bank in dem Maße Vertrauen gegenüber Projekten zeigt, wie sie mit den Risiken der Projekte vertraut ist. Letzteres sind Erfahrungswerte, die auf mehrmaliger, gleichgelagerter Tätigkeit beruhen. Wenn eine Bank stets mittelständische Einzelunternehmer betreut, wird ihr etwa die Zusammenarbeit mit einem Großkonzern schwerfallen. Betreut eine Bank stets Großunternehmen, wird sie bei einer einmalig auftretenden Genossenschaftsgründung vor besondere Probleme gestellt. Das Urteil wird nicht ungünstig ausfallen, weil das Risiko objektiv höher ist, sondern weil die Unsicherheit des entscheidenden Bankverantwortlichen höher ist. Die spezialisierte Bank, die einen bestimmten Risikotypus aus Erfahrung gut kennt, wird mit dem Kunden mehr wagen können, ohne deswegen im Durchschnitt der notleidend werdenden Kredite ein höheres Risiko einzugehen. In diese Kategorie fällt denn m. E. die Entstehungsgeschichte der Genossenschaftsbanken.

Laut WEHRLE[497] wurden früher etwa die Schreiner und Schuster von vornherein von den Groß-und Provinzialbanken als kreditunwürdig abgelehnt; auch scheuten sich die Handwerker alten Schlages ihrerseits, jene »blendenden Hallen« der Großbanken zu betreten. Da die Handwerker im Gegensatz zu den Landwirten am Anfang ihrer Tätigkeit lediglich über ihr Handwerkszeug verfügten und keine dinglichen Sicherheiten anbieten konnten (z.B. Grund und Boden), hätten die Großbanken [S. 256] ihnen einen ungesicherten Personalkredit gewähren müssen, was damals unüblich war[498]. Diese Form des Kredites, der im Vertrauen auf die zukünftigen Erträge und die Vertrauenswürdigkeit von Personen hin gegeben wird, haben die Handwerker daraufhin erstmals in den von ihnen selbst getragenen Instituten realisiert. Hinzu kommt als dritte Leistung (neben dem Zugang zu Kredit und der Bemessung der Kreditwürdigkeit anhand der »Ertragskraft«) ein Preisvorteil bezüglich der Zinshöhe, den die frühen Genossenschaftsinstitute ihren Mitgliedern aufgrund umfangreicher ehrenamtlicher Tätigkeit und geringer Verwaltungskosten gewähren konnten[499].

Unter Punkt b) fällt z. B., daß ein auf dezentral wirtschaftenden Einheiten aufbauender Genossenschaftsverbund in weit stärkerem Maße zentrale Dienst-, Informations-und Koordinationsleistungen nachfragt. Die Einbindung der eigenen Bank in die genossenschaftlich-unternehmerische Entscheidung wird von einem dezentral-koordinierten Verbund stärker verlangt werden als dies im kapitalistischen Wettkampf stehende Einzelunternehmen wünschen. Eine Genossenschaftsbank, die hier Integrationsfunktionen wahrnehmen wollte, würde allerdings voraussetzen, daß es einen zu integrierenden Verband aus genossenschaftlichen Klein-und Mittelunternehmen gäbe. Sie würde mit ihrer Entscheidung zugunsten einer genossenschaftsunterstützenden Schlüsselposition zugleich ihre nichtgenossenschaftlich organisierte Gewerbekundschaft abstoßen, die im Falle einer Kampfhaltung der Bank mit Ungleichbehandlungen realistisch rechnen müßte.

Die Genossenschaftsbanken waren ihrem Ursprung nach tief in einer allgemeinen Genossenschaftsbewegung verwurzelt. Mit dem Rückgang dieser Bewegung stand eine Umkehr zum allgemeinen Kundengeschäft an, denn warum sollten die gut eingerichteten Banken als Mitbewerber wieder aufgegeben werden, nur weil ein genossenschaftsspezifisches Bankengeschäft keine Nachfrage fand? Dennoch, so meine ich, läßt sich eine darüber hinausgehende mögliche Funktion einer Genossenschaftsbank beschreiben, die ihrerseits der Belebung genossenschaftlicher Wirtschaftszusammenhänge dienlich wäre. Diese Funktion kann man wiederum nur im Rahmen eines makroökonomischen Exkurses erkennen.

3.3.2. Exkurs: Geld und Kredit

Uns begegnen in der Geschichte drei Formen des Geldes, die allesamt Geldfunktionen erfüllen, aber doch sehr verschieden geartet sind. Geldfunktionen sind,

a) als universelles Tauschgut den Handel zu vereinfachen, b) als Wertmaßstab alle Güter auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und c) Tauschwert ohne Verlust über Zeitspannen hinweg speichern zu können[500].

[S. 257] Was ist der Wert eines Gutes? Es ist der Ausdruck einer Quantität des Gutes A in der Quantität des Gutes B. Ein Kilo Salz ist 50 Gramm Tee »wert«. Ein Brot »kostet« 20 Eier. Ein Huhn »kostet« zwei Brote. Auf diese Weise läßt sich »Wert« bzw. ein Geflecht aus Wertrelationen ausdrücken. Ihnen als Bezugspunkt gemeinsam sind allerdings die »Beschaffungsaufwände«, die jeweils hinter den zu tauschenden Gütern stehen. Geben wir dem Beschaffungsaufwand als Einheit einen Namen und ein Maß, so wie der Meter in Paris genormt und benannt wurde. Sagen wir, der Beschaffungsaufwand eines Huhns sei gleich 1 und nennen die Einheit »DUCK«, dann »kostet« ein Huhn = 1 DUCK, ein Brot = 0,5 DUCK und ein Ei = 0,02 DUCK. Bis hierhin wurde lediglich ein gemeinsamer Nenner geschaffen bzw. die »Recheneinheit« definiert, auf die alle Güter fortan einheitlich bezogen werden. Der Vorteil ist, daß statt doppelseitiger Preisrelationen zwischen Gütern fortan einseitige Preisinformationen kommunizierbar sind, deren Verankerung jede Person entsprechend ihres »Warenkorbes« individuell und doch allgemeingültig vornimmt.

In der Tat ist der Mensch sehr schnell auf diese Vereinfachung gekommen und hat in grauer Vorzeit Kleintiere als »Zahlungsmittel« bzw. »Recheneinheit« verwendet. Die Nachteile dieser Form brauchen wir hier nicht zu diskutieren, weswegen als nächste Stufe das vor Verderb sichere produzierte Sachgeld trat. Das produzierte Sachgeld verkörpert ebenso wie das Huhn einen Beschaffungsaufwand. Sagen wir, es erfordert einen Aufwand von 5 DUCK, um ein Gramm Gold zu finden, dann wird eine Münze aus 10 Gramm Gold die Prägung 50 DUCK erhalten. Bis hierhin ist Geld nichts anderes als Ausdruck eines Gutes in der Quantität eines anderen Gutes.

Doch auch diese Form des Geldes ist noch umständlich. Denn warum sollte ein Händler, der heute 5 Fässer verderblicher Butter verkaufen will und dafür in einem halben Jahr eine Kuh erhalten könnte, erst gegen Gold verkaufen? Vielleicht sind sich ja beide Tauschpartner einig und verfügen über gar kein Gold. Also gibt man sich Kredit, was zunächst nichts anderes heißt, als im Vertrauen auf eine zukünftige Zahlung über einen Zeitraum hinweg die Gegenleistung eines Tauschhandels zu strecken[501]. Nehmen wir an, der Verkäufer der Butter will die Kuh nicht, aber er will die Butter verkaufen, weil diese verdirbt, während er für die Kuh in Ruhe einen [S. 258] Käufer suchen kann, dann wird er den Anspruch auf die Kuh gegen ihm günstigere Gegenstände weiterreichen. Und schon ist das Prinzip des Wechsels gefunden. Er erfüllt die gleiche Funktion wie Gold, ist aber Kreditgeld. Seine Leistungsversprechung ist gemessen in der Werteinheit des Goldes z. B. 80 DUCK, und mit dieser »Prägung« wird er weitergereicht und funktioniert wie jedes andere Sachgeld. Hinzu kommt nur eine gesellschaftsrechtliche Garantieregelung, also eine kulturelle Erfindung, die die Leistungspflicht des Wechselausstellers sichert.

Das Interessante an dieser zweiten Form des Geldes ist, daß es auf einem Gleichgewichtsmechanismus beruht und doch keine eigene Wertwurzel hat. Der Gleichgewichtsmechanismus besagt, daß die Summe der Ansprüche identisch steigt mit der Summe der Leistungspflichten. Mit jedem DUCK, das einem Kreditgeber per Wechsel versprochen wurde, erhöht sich die Bringschuld des Kreditnehmers um eben dieses DUCK. Das heißt, er muß mit Gütern auf den Markt drängen, um seine Schuld zu begleichen. Und deswegen, weil der Schuldner mit seinem Angebot in der Höhe seiner Schuld auf den Markt drängen muß, hat der Wechsel eine Kaufkraft. Treffen irgendwo ein Gläubiger und ein Schuldner aufeinander, von denen der eine einen Wechsel besitzt und der andere ein interessantes Tauschgut, dann wechselt das Tauschgut seinen Besitzer, und der Schuldner kann seiner Wechselschuld die eines anderen gegenüberstellen.

Natürlich wird ein Schuldner kaum jemals eine Person treffen, die einen von ihr ausgestellten Wechsel hält. Deswegen bedarf es einer Clearingstelle, über die der Schuldner den erworbenen Wechsel einer anderen Person gegen seinen eigenen eintauschen kann. Als Clearingstelle können beispielsweise Zentralbanken fungieren. Und weil das geschilderte Verfahren noch immer viel zu kompliziert ist, rationalisieren diese das ganze Verfahren in die nächste Stufe hinein, indem sie gesicherte Wechsel als Schuld und Leistungsversprechen akzeptieren und ihrerseits in gleicher Höhe einen generalisierten Schuldschein in Umlauf setzen: genannt »Geld«. Dieses bunt bedruckte Papier ist, wenn es auf dem Prinzip des Kreditgeldes beruht, Ausdruck einer Angebotspflicht des Schuldners auf den Märkten. Geldmenge und Angebotsdruck entwickeln sich direkt proportional zueinander. Sie sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Kreditvolumens, dessen Höhe unter normalen Umständen wiederum Ausdruck der fortgeschrittenen gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist. Denn je differenzierter die Organisation der Produktion einer Wirtschaftsgesellschaft ist, desto mehr Vorleistungen beansprucht ein Produzent für sein Produkte, die natürlich kreditiert/vorfinanziert werden müssen.

Diese Zusammenhänge mußten erläutert werden, weil sich von hier aus einige Irrtümer in die vorherrschende Anschauung einschleichen. Denn Kreditgeld erfüllt wohl alle Funktionen wie Monopolgeld, aber ist seiner Wertwurzel nach an keine »Quantität« oder »Knappheit« gebunden. Weil sich Angebotsdruck und Anspruchsrechte stets die Waage halten, kann es normalerweise keine Wertverschiebungen geben. Inflation und Deflation sind eigentlich nicht möglich. Aber: die Konstruktion hat einen Schwachpunkt, denn die Waage hat keinen natürlichen Generalnenner oder Wertmaßstab, sondern lehnt sich lediglich an die Werteinheit des etablierten [S. 259] Nicht-Kreditgeldes an, auf die sich die Vertragsparteien zum Zeitpunkt der Kreditübereinkunft beziehen. Wir haben oben das DUCK aus dem Sachgeld heraus entwickelt als »Beschaffungsaufwand«. Da wir wissen, daß ein Kredit nominal über jede x-beliebige Größe abgeschlossen werden kann und immer 5 Fässer Butter zu einer Kuh bedeutet, muß die Werteinheit mit einem Kunstgriff fixiert werden, oder sie ist ein tendenziell »laufender« Wert. Die Fixierung des nationalen (oder internationalen) Generalnenners ist somit ein Problem. Es wäre lösbar, wenngleich auch mit einem ungleich komplizierteren Verfahren, als bei der Festlegung des Meters angewendet wurde[502].

Kommen wir zu dem dritten Typus mit Geldfunktion. Es ist das nationale Zettelgeld mit Zwangskurs, das herrschaftliche Geld des Staates, das dieser verbreiten kann, indem er alle ökonomischen Geldmechanismen unterbindet. Ein Staat hat über sein Gebiet nicht nur ein Gewaltmonopol über Leib und Leben, sondern wie selbstverständlich auch über das zugelassene Zahlungsmittel. Und hier funktioniert »Geld« im extremen Fall so, daß der Staat erst ein Monopol durchsetzt und alle Personen zwingt, sein Geld anzunehmen. Weil die Wirtschaft den Generalnenner mit Wertfunktion benötigt, wird sie diesen Zwang auch stets hinnehmen. Nun gibt der Staat eine bestimmte Anzahl von Zetteln aus und etabliert seinen Generalnenner, indem er eine Kaufkraft definitorisch setzt. Ein Brot koste x, ein Ei y etc. Wurde die Setzung vom Volk als Bezugssystem internalisiert, können die Preise freigegeben werden. Die Zettel haben keinen Wert im Sinne des Sachgeldes oder des Kreditgeldes, aber sie sind knapp und etablieren sich in der Form eines »Knappheitswertes«. Diesem dritten Typ mit Geldfunktion steht die Bezeichnung »staatliches Monopolgeld« gut an. Es ist die windigste und komplizierteste aller Geldkonstruktionen, weil sie bei fehlendem Angebotszwang irgendeines Schuldners und ohne Eigenwert als Ware einen »Wert« alleine aufgrund der staatlichen Monopolstellung erlangen will. Man sagt sich, daß die Wirtschaftsgesellschaft, um ihre Tauschakte und ihre Produktion organisieren zu können, eine bestimmte Menge [S. 260] Geld benötigt. Also muß sie die Zettel annehmen. Wenn die Zettel aber knapp gehalten werden, dann hätten sie einen »Wert« wie Gold.

An diesem Gedanken ist etwas richtig und etwas falsch. Richtig ist, daß bei knappen Gütern der Beschaffungsaufwand hoch ist und diese deswegen einen hohen Wert, ausgedrückt in der Quantität eines anderen Gutes, haben. Bei Gold ist der Beschaffungsaufwand allerdings verbunden mit den natürlichen Größen »Arbeit«, »Technologie«, »Ergiebigkeit der Fundstelle« und »Transportwiderstand«. Deswegen kann bei Gold keine Regierung auf die Idee kommen, beliebig viel davon auf den Markt zu bringen. Und täte sie es doch, dann hätte sie nichts davon, weil sie den Beschaffungsaufwand des Goldes in anderen Gütern voll ersetzen müßte. Bei den Zetteln stehen die Dinge dagegen anders. Überall auf der Welt kommen Regierungen, die um ihre Macht bangen, recht schnell auf die Idee, sich ein paar Zettel zu drucken und dafür Wirtschaftsgüter entgegenzunehmen. Das ist die Inflationssteuer[503]. Aber selbst wenn dieser Betrug am Volk nicht praktiziert wird und sich ein Land eine unabhängige Notenbank leistet (wie Deutschland), bleibt die Frage im Raum zurück, welche Menge dieses Geldes ausgegeben werden darf. Wie stark muß die Knappheit am Geldmarkt sein, damit keine Inflation eintritt? Eine schwer zu beantwortende Frage. Die Angelegenheit ist aber nicht unser erstes Problem an dieser Stelle, zumal die Wissenschaft als solche hier noch keine Lösung formuliert hat. Gewiß scheint mir ferner, daß sich die Systematik des staatlichen Monopolgeldes und des Kreditgeldes nicht miteinander vertragen. Denn ersteres bedarf des Knappheitspreises, um einen Wertanker zu finden, d.h. tendenzielle Unterversorgung und Mangel sind sein »Wertprinzip«. Zweiteres ist an keine Menge gebunden und könnte als Kreditgeld eine maximale Versorgung entsprechend der wechselseitigen Vertrauenswürdigkeit und Nachfrage einer Wirtschaftsgesellschaft realisieren. Es stört allerdings den Knappheitsanker des staatlichen Monopolgeldes und damit den entliehenen Wertmaßstab der Kreditvereinbarungen.

Es erscheinen mir die Schlußfolgerungen interessant, die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelt sind und für eine Genossenschaftsbank innerhalb eines Genossenschaftswesens gültig sein müßten.

a) Die Knappheit von Geld ist eine schwankende, politische Größe. Eine zentrale Notenbank kann mit ihrer Geldpolitik unmittelbar Einfluß auf das Wirtschaftgeschehen nehmen, wenn auch nur in eine Richtung. Sie kann Unternehmen zerstören, indem sie Kredite durch künstliche Knappheitszinsen verteuert. Auf dieser Ebene sind alle Unternehmen grundsätzlich gefährdet, weil das [S. 261] staatlich-politische Handeln aus Gründen der »Geldpolitik« jederzeit ungünstige Rahmenbedingungen herbeiführen kann und wenig berechenbar ist.

b) Im Prinzip kann sich eine Genossenschaftsbank von der staatlichen Geldpolitik abkoppeln, wenn sie als Einrichtung einen weitgehend geschlossenen Wirtschaftskreislauf zwischen Konsumenten und Produzenten bedient. Was in solch einem Wirtschaftssystem benötigt wird, ist nämlich nicht Geld, sondern Kredit. Vorleistungen und Rückleistungen müssen über die Zeitspanne einer komplexen Fertigungsperiode entkoppelt und wartefähig gehalten werden. Die erste geleistete Arbeitsstunde kann erst entlohnt werden, wenn das Gesamtwerk fertig ist.

Ich wiederhole den Ausspruch von W. KING, der 1828/29 schrieb: „Die Grundlage, das Geheimnis um das Genossenschaftswesen ist die Arbeit. Man nehme von dem Produkt der Arbeit weg, was für den Lebensunterhalt der Arbeiter notwendig ist; was dann übrig bleibt ist Überschuß, der gespart wird und der, wenn angesammelt, zu Kapital wird, mit dessen Hilfe die Arbeiter sich selber beschäftigen und für sich selbst Nahrung und andere Artikel erzeugen könnten, gerade so, wie sie es gegenwärtig mit dem Kapital der Unternehmer machen.“[504]

Was KING dort schrieb, ist in seiner Schlichtheit genial. Man nehme den Überschuß und beschäftige sich damit selbst. Die Lücke zu einem arbeitsteilig organisierten Produktionsvorgang schließt der Kredit, sei es als Lieferantenkredit (der Zulieferer wartet bis zur Bezahlung) oder als Konsumentenkredit (der Konsument bzw. Arbeiter ist nominell Eigentümer der im Produktionsprozeß hergestellten Güter und wartet deren Fertigstellung ab). Oder anders gesagt: eine Genossenschaftsbank, die Teil eines umfassenden Genossenschaftswesens ist, könnte Konstruktionen einer Selbstfinanzierung entwerfen, die auf einer Ansammlung von Überschüssen aus Arbeit beruht. Wie sich diese Idee im Detail realisieren ließe, kann hier nicht in Vollendung ausgeführt werden. Wiederum interessant ist nur, daß in England und den USA aufkommende Barter-Systeme genau diese Arbeits-Währung in Vorschuß und Nachleistung (Kredit) realisieren mit dem Effekt, daß Arbeit und entsprechend Konsum in wirtschaftlichen Regionen stattfindet, die durch »Armut« bzw. Mangel an staatlichem Monopolgeld ansonsten zur Untätigkeit verdammt wären. Ebenso scheint die Caja Laboral Popular als zentrale Einrichtung des Genossenschaftskomplexes von Mondragón tendenziell den Mechanismus »Kapital aus Arbeit« realisiert zu haben. Gäbe es hier einen produktiven Mechanismus zu entdecken, und vieles spricht dafür, dann würde ein Genossenschaftsverbund entsprechende Einrichtungen benötigen, die diesen Mechanismus tragen. [S. 262]

3.3.3. Probleme und Perspektiven

Kennzeichnend für die Genossenschaftsbanken der Bundesrepublik ist, daß sie in einem wenig genossenschaftlichen Umfeld bestehen. Eine Bank kann ihre Existenz aber nur dann behaupten, wenn sie einem bestimmten oder unbestimmtem Klientel zu Diensten ist. In der Systematik eines Genossenschaftswesens bildet die Genossenschaftsbank wohl das Herzstück, aber ohne die schaffenden Arme und Beine ist das Herzstück nicht lebensfähig. Konsequent haben sich die Genossenschaftsbanken dem unbestimmtem Klientel zugewandt und sich eine Position in dem Bankenoligopol erarbeitet. Gleichzeitig aber wird mit zunehmender Entfernung von den genossenschaftlichen Ursprüngen die eigene Identität[505] zum Problem. Nicht, daß man der genossenschaftlichen Tradition abschwören wollte, nein, die Realitäten des modernen Bankmanagementes lassen sich nur schwer in eine Linie mit der eigenen Geschichte stellen.

Drei Themen fallen besonders auf, an denen die Genossenschaftsbanken mit sozialpolitischer Wirkung arbeiten könnten:

1) Inflation und Zins,

2) Handel trotz knappem Geld/Geldersatz,

3) regionale Wirtschafts-und insbesondere Genossenschaftsförderung.

Thema 1: Inflation und Zins.

Die Inflation ist eine allgemeine Plage und Beigabe unseres modernen Geldsystems, genauer: des staatlichen Monopolgeldes. Nimmt man die von ADAM SMITH aufgestellte Preistabelle für einen Quarter Weizen (290,79 l) zwischen 1202 und 1740, also über 540 Jahre, dann schwankt dieser wohl enorm je nach Lage der Ernte und der politischen Verhältnisse (Krieg und Verwüstung = Knappheit), aber sein Preis beträgt im Mittel etwa 2 £, und das über Jahrhunderte hinweg[506]. Der Grund ist einfach der, daß die Silbermünze und der Weizen beide nur durch Arbeit gewonnen werden können, und diese standen bei beiden Produkten lange Zeit in einem relativ konstanten Verhältnis zueinander. Was bedeutet Wert? Die Menge eines Gutes A ausgedrückt in der Menge von Gut B. Unser modernes Geldsystem hat uns von den Lasten des Metallgeldes völlig befreit. Das ist gut so. Aber: den Händlern war es auch damals schon lästig, mit Edelmetallen zu bezahlen. Statt dessen bediente man sich der Wechsel und eines Papiergeldes, das die privaten Banken emittierten. Interessant an dieser Zwischenphase ist nun, daß es während [S. 263] dieser Zeit gute und schlechte Banken gab. Die Noten der einen behielten dauerhaft ihren Wert, weil die Bank absolut seriös arbeitete. Die Noten der anderen Bank wurden laufend abgewertet (oder nur mit einem Abschlag entgegengenommen), weil man wußte, daß diese Bank schlecht spekuliert hatte, mehr Noten ausgegeben hatte, als Werte dagegenstanden, schlechte Wechsel in ihrem Depot hielt etc. Die Wertbeständigkeit von Geldnoten, so lehrt uns diese Zeit, variiert mit den Gepflogenheiten der emittierenden Bank.

Den konkurrierenden Noten eines Wirtschaftsgebietes folgte das staatliche Monopolgeld mit Zwangskurs. Denn statt den Privatbanken das Geldgeschäft zu überlassen, witterten die Staaten bald ihre Chance, selber an der Notenausgabe zu verdienen. Vor allem aber war die notorische Geldnot der Fürsten und Regierungen ein Motiv, direkt nach der Notenpresse zu greifen. Die völlige Entwertung aller Barvermögen nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland, aber auch die Hyperinflationen der GUS und lateinamerikanischer Länder, beruhen auf dem überaus simplen Vorgang herrschaftlicher Notenpresse. In Deutschland wurde aus diesem Grunde nach dem zweiten Weltkrieg eine unabhängige Notenbank eingerichtet. Behauptet wird, damit sei das Problem gelöst. Doch es hat sich nur gebessert, wie die Verdoppelung aller Preise im 18-Jahres-Rhythmus zeigt. Von einer Konstanz über Jahrhunderte sind wir, bei allem Respekt vor deutscher Geldpolitik, weit entfernt.

Was auch immer als Grund für die Restinflation dingfest gemacht werden kann: die Folge sind Zinssätze, bei denen der Kreditnehmer den Inflationsausgleich bezahlen muß, sowie eine Besteuerung von Scheingewinnen, die sich aus der nominalen Höherbewertung gleichbleibender Realwerte ergeben. Die Bundesregierung erhält nicht nur alljährlich etwa 10 Milliarden DM Zinsgewinne der Bundesbank übertragen, sondern »verdient« zudem an jedem Prozentpunkt Inflation durch Besteuerung der Scheingewinne und Steigen der Einkommensbezieher in der Steuerprogression. Ihre politische Position in diesen Dingen ist mehr oder weniger die des gleichgültigen Nutznießers. Dagegen ist die Gesellschaft zur Gegenwehr aufgefordert. Denn die von der Bundesbank gesetzten Zinsimpulse sind für die Gesellschaftswirtschaft ebenso schädlich wie die Restinflation. Warum? ADAM SMITH schrieb dazu:

„In einem Lande wie Großbritannien, wo der Regierung zu 3 Prozent und Privatleuten auf gute Sicherheiten zu 4 und 4½ Prozent Geld geborgt wird, ist der gegenwärtige gesetzliche Zinsfuß von 5 Prozent vielleicht so angemessen wie möglich. (...) Würde der gesetzliche Zinsfuß in Großbritannien beispielsweise auf 8 oder 10 Prozent erhöht, so würde der größte Teil des zu verleihenden Geldes an Verschwender und Projektemacher verborgt, da alleine diese solche hohen Zinsen zu zahlen bereit wären. Besonnene Leute, die für die Nutzung von Geld nur einen Teil dessen, was sie dadurch wahrscheinlich gewinnen, hingeben, würden es nicht wagen, mit ihnen zu konkurrieren.“[507]

Mit anderen Worten: viele solide Projekte einer Volkswirtschaft unterbleiben, wenn die Verzinsung des Kapitals zu hoch ausfällt. Oder anders herum: der niedrigst [S. 264] mögliche marktgerechte Zins ist volkswirtschaftlich immer der beste. Jede künstliche Erhöhung durch Einmischung des staatlichen Monopolisten, der seinerseits die Preis-und Gewinnsignale an einen oligopolistischen Bankensektor weitergibt, ist schädlich. Oder noch eine Nuance schärfer formuliert: die Bundesbank besteuert in letzter Konsequenz als Parafiskus alle Kreditnehmer und verhindert dadurch gering rentable Investitionen! Sie trägt dazu bei, daß auf den Kapitalmärkten nur mit erhöhten Einsätzen gepokert wird und ist somit ein auslösender Faktor für die Unterversorgung auf dem Wohnungsmarkt und bei Arbeitsplätzen.

Ihre Rechtfertigung ist die der Geldpolitik und Geldwertstabilität. Dem halte ich entgegen, daß die Stabilität der deutschen Währung aus der Umstellung von der Notenpresse zu einem soliden Kreditgeldsystem resultiert. Wollte die Bundesbank innerhalb dieser geschlossenen Systematik zusätzlich Geldpolitik betreiben, dann hätte sie ein einfaches Mittel, um den inneren Wertmaßstab des Geldes zu straffen: sie müßte die durch ihre staatliche Monopolstellung erzwungenen Zinseinnahmen »in den Ofen stecken« und dürfte sie nicht an die jeweilige Regierung weiterreichen[508], von der sie angeblich unabhängig ist. Nur dadurch könnte sie den Angebotsdruck der Güter erhöhen und die Preisdisziplin der Anbieter erzwingen[509].

Aus der Sicht eines Genossenschaftswesens gibt es nun zwei Ebenen der Betroffenheit. Einmal sind es die Genossen, die wie alle Bürger der Unsicherheit des Geldes ausgesetzt sind. Man kann also wie OSWALD HAHN die Frage stellen, ob eine Genossenschaftsbank über irgendwelche Möglichkeiten der Selbsthilfe verfügt und intern für sich eine Stabilität produzieren kann, die der Staat nicht von sich aus bietet[510].

Die zweite Ebene ist eine grundsätzliche, die das politische Bollwerk Staat angehen müßte, da die Bundesbank sehr empfindlich und mit Verbotsmacht ausgestattet reagiert, wenn sich die Bürger oder Unternehmen durch sogenannte Wertsicherungsklauseln oder Indexklauseln der staatlich verursachten Nominalwertverschiebung (Inflation, Deflation) entziehen wollen[511]. Hier sollte als Leitmaxime gelten, daß Geldpolitik überhaupt nicht in die Hände eines Staates oder einer Regierung gehört, sondern ganz und gar von den Bürgern (der Gesellschaft) kontrolliert werden sollte. Denn wenn Staaten oder Regierungen in Bedrängnis geraten, [S. 265] dann ist der Griff in die Kasse einfach zu verlockend, als daß der Bürger je auf die Standhaftigkeit seiner Herrschaften vertrauen könnte. Wenn der Bürger hier aber gefestigte Rechte geltend machen will, muß er sie den Regierungen abtrotzen. Und das wiederum geht nur auf dem Weg über das Bundesverfassungsgericht oder durch den Druck der öffentlichen Meinung. Voraussetzung wäre der stichhaltige Nachweis, daß die Bundesbank schuldhaft Inflation verursacht und die Wirtschaft schädigt, es dazu aber eine freundlichere Alternative gibt.

Nun mag der Leser bereits denken, warum sich auf solche Wagnisse einlassen? Doch das muß man gar nicht von vornherein, solange man sich nur nach der Möglichkeit eines wertkonstanten Geldmaßstabes fragt. Einzig dieses Problem müßte eine Bürgerinitiative lösen; alles weitere würde aus dieser Lösung folgern. Denn die Lösung wäre eine gegenläufige Tatsache höherer Attraktivität, gegenüber der die gegenwärtige Inflationspraxis haltlos würde. Es gibt nur leider kaum mit Mitteln ausgestatteten Sachverstand außerhalb staatlicher Zusammenhänge, der solch eine Initiative tragen und ihre Lösungsansätze experimentell erproben könnte. Das kann eigentlich nur eine größere Privatbank mit gesellschaftspolitischem Engagement. Also wer?

Thema 2: Handel trotz knappem Geld; Geldersatz.

Stabiles Geld verkörpert, wenn man seine Wertbasis zurückverfolgt, einen abstrakten Anspruch auf Güter (bzw. Dienste) eines Schuldners. An diesem Basispunkt der Geldentstehung »besitzt« ein produzierender Schuldner wohl noch sein Produkt, ist aber mit einer Bringschuld gleicher Höhe belastet, so daß sein eigener Anspruch auf das Produkt gleich Null ist. Der Anspruch liegt bei demjenigen, der den Schuldschein hält, bzw. bei den durch die Bundesbank generalisierten Schuldscheinen bei demjenigen, der das »Geld« hält.

Durch die Erweiterung der konkreten Schuldbeziehung zwischen Personen zu einem gesellschaftlichen Geldentstehungsmechanismus erhält das gesellschaftlich entstandene Kreditgeld eine zusätzliche Qualität: seine Universalität. Will meinen, daß Geld bei allen Produzenten eines Wirtschaftsgebietes Gültigkeit erhält und somit alle Schuldner in der Leistungspflicht stehen bzw. ihre Schuld ablösen können, indem sie einen generalisierten Schuldschein mit ihrem Produkt zurückerwerben und ihre Schuld damit ablösen (oder, falls keine Schuld vorliegt, erwirbt man eben Kaufkraft und wird mit seiner Vorleistung Gläubiger).

Die universelle Einsetzbarkeit des Geldes ist nun eine dem Geld anhaftende, durch unsere Zivilisation mit ihren Mitteln hergestellte Qualität, die die Schuldbeziehungen zu einem Problem werden lassen kann. Denn der Gläubiger will unter Umständen gar keine Güter erwerben (? 221), und niemand kann ihn dazu zwingen, denn sein Geld läßt sich schließlich unverrottbar lagern bzw. in Geld-Schuld-Beziehungen vermehren. Der Anbieter der Güter (Schuldner) steht somit unter Umständen einer tendenziellen Unauflösbarkeit der Schuld gegenüber (? 204). Sie äußert sich für ihn darin, daß das Verhältnis Güterangebot zu Nachfrage nicht 1:1, sondern beispielsweise 2:1 steht. Als unmittelbare Erfahrungsäußerung sagt man in [S. 266] solchen Zeiten »keiner hat Geld«, obwohl es Arbeit bzw. unerledigte Aufgaben reichlich gibt. Aber diejenigen, die das Geld haben, fragen die Arbeit nicht nach bzw. lösen die Schuldverhältnisse nicht wieder durch eine der Schuld entgegengerichtete Nachfrage ab.

Aus einer ähnlichen Problemwahrnehmung heraus entwickelte SILVIO GESELL die Vorstellung, man könne dem Geld einen Angebotsdruck einbauen, wenn es als »Schwundgeld« konzipiert würde[512]. Der Angebotsdruck läßt sich aber auch auf eine andere Weise zwischen den Tauschpartnern des Marktes gleichmäßiger verteilen, nämlich durch sogenannte Barter-Geschäfte.

Das Bartering erfreut sich insbesondere in den USA und England steigender Beliebtheit[513]. Man versteht darunter einen Typus des Verrechnungsgeschäftes, der wohl in der Werteinheit des Geldes abgeschlossen wird (der Preisfindungsmechanismus bleibt dadurch erhalten), doch lautet der Anspruch bei Verkauf nicht auf Geld (generalisierte Schuldbeziehung), sondern es entsteht ein Anspruch auf Gegenleistung. Mit anderen Worten sind in einem Barter-Pool zwei Bewegungen fest miteinander verbunden: es werden dem Wert nach gleiche Mengen auf den Markt gebracht und vom Markt genommen. Der Effekt ist, daß eine Überschußproduktion nach erfolgtem Absatz nicht als »Kapital« erscheint, für das ein Zins verlangt werden könnte. Ein erfolgreicher Verkauf ist weniger komfortabel als ein Verkauf gegen Geld. Andererseits profitiert der nächste Verkäufer von dem Umstand des erst halb geschlossenen Tauschringes, weil der Tauschpartner mit einem Anspruch gegenüber dem Tauschpool keinen Vorteil daraus ziehen kann, wenn ein Kauf verzögert wird oder nicht stattfindet. Die Bereitschaft, ein Tauschgut aus dem Pool zu nehmen und den Tauschring zu schließen sowie die Bereitschaft, ein Gut einzubringen und den Tauschring unvollendet zu eröffnen, entlastet beide Parteien in gleicher Weise von einem Risiko. Der Verkäufer muß fürchten, daß sein Produkt keinen Abnehmer findet. Deshalb ist ihm die Abgabe seines Produktes bereits ein wichtiger Schritt. Mit dem Anspruch auf Gegenleistung in den Händen muß er aber zweitens fürchten, kein brauchbares oder wertäquivalentes Tauschgut zu finden und ist deswegen erhöht abschlußbereit, wenn ein entsprechender Anbieter auftaucht.

Barter ist aus meiner Sicht keine Einrichtung, die den konventionellen Handel ablösen könnte. Seine Vor-und Nachteile[514] stehen vielmehr für ein parallel zu denkendes Modell mit teilweise anders gelagerten Akzenten. Während die Geldgeschäfte mit ihrem Bezug auf das staatliche Monopolgeld immer auch abhängen von [S. 267] den Allüren der jeweiligen Regierungen, ist die Verrechnungseinheit beim Barter eine des Handels. Wenn etwa in Osteuropa der Rubel durch Notenpresse für die Wirtschaft völlig funktionsunfähig gemacht wird, dann bietet die Idee des Barter einen Notnagel, den die Westwirtschaften den Ostwirtschaften gefahrlos anbieten könnten. Denkbar ist zudem, daß auf der Basis einer Barter-Konstellation das oben behandelte Thema 1 positive Impulse erfährt. Und ebenso interessant scheint die Möglichkeit, eine Gruppe dezentral wirtschaftender Klein-und Mittelunternehmen (Genossenschaften) per Barter miteinander zu vernetzen, sei es

a) um einen kontinuierlichen Ablauf einzurichten, der auf ein sonst nur von Großkonzernen fertigbares komplexes Produkt abzielt, oder

b) die Angebotspalette spezialisierter Produzenten im Tausch zu erweitern, so daß ein Produzent auf einem regionalen Markt etwa mit 10 Produkten auftritt, aber nur eines davon selber fertigt.

Auf der Basis eines intern entwickelten Barter-Systems könnte eine offene Großunternehmung »Genossenschaftswesen des produzierenden Gewerbes« entstehen. Gegenstand der (bankmäßigen?) Aktivität der Barter-Organisation wären

a) die Entwicklung eines praktikablen Verfahrens,

b) die Informationsvermittlung,

c) die Abrechnung der Wertströme und

d) der »Außenhandel« (nationale und internationale Vernetzung gleichgerichteter Interessenten).

Wie auch immer eine konkrete Genossenschaftsbank zu dem angeschnittenen Thema steht: Barter ist eine Kooperationsform und keine anonyme Marktbeziehung. Als Kooperationsform haftet dem Barter die genossenschaftliche Idee also geradezu an.

Thema 3: Regionale Wirtschafts-und insbesondere Genossenschaftsförderung.

Wenn in Theorie und Praxis einigermaßen ratlos über die Operationalisierung eines »Förderungsauftrages« nachgedacht wird, dann steht dieses Denken in Deutschland unter dem unausgesprochenen Dogma, die individualistische UnternehmerKunden-Perspektive auf genossenschaftliche Zusammenhänge zu übertragen[515]. Es gibt bei uns kein Genossenschaftswesen mit einem Wesens-Begriff, sondern nur eine Ansammlung gruppenindividualistischer Genossenschaften. Was an Synergieeffekten durch überbetriebliche Arbeitsteilung und Kooperation erzielt werden könnte, läßt sich nur grob schätzen bzw. aus Beispielen des Auslandes ableiten. Von daher fehlt uns bereits der Ansatz einer wirtschaftspolitischen Idee, der die Genossenschaftsmitglieder vielleicht zustimmen könnten. Statt dessen definiert man einen so zentralen Begriff wie den der »Förderung« anonym-individualistisch über die Frage, ob man hier einen Groschen mehr erhält oder weniger bezahlen [S. 268] muß als dort. Aufbauen erfordert aber immer Anstrengungen und Opfer heute zugunsten erklärter Ziele morgen. Verbesserung ist das »Investitionsmotiv« von Menschen (nicht Kapital), und solche Verbesserungen können nur in größeren Zusammenhängen über den Groschen hinaus angegangen werden.

Es läßt sich nur anmerken, daß die ersten genossenschaftlichen Institute der Förderung des Gewerbes und nicht nur einzelner Gewerbetreibender dienen sollten[516]. Wenn das Förderungspotential einer Genossenschaftsbank heute in der Rolle eines »strategischen Planers« gesehen werden kann, dann liegt der Grund darin, daß die Verarbeitung von Informationen, die Beobachtung des Marktes, die Einschätzung des Risikos sowie die gesamte Rechenhaftigkeit wirtschaftenden Handelns das originäre Metier des Banksektors beschreibt. Wenn eine Spezialisierung und Arbeitsteilung aber nur innerhalb eines wechselseitigen Vertrauensverhältnisses gedeihen kann, müßte die Bank eines Genossenschaftswesens über einen wesenseigenen »Heimvorteil« verfügen, der sich in Produktivkraft ummünzen ließe.

Fußnoten
[487]
Gegen die Deutsche Herold Lebensversicherung läuft z. B. derzeit ein Muster-Verfahren, weil der Deutsche Herold (und andere Unternehmen ähnlich) 350 Millionen Gewinn an eine neu gegründete Holding ausgelagert hat, gegenüber der die Lebensversicherungskunden keine Ansprüche auf Gewinnbeteiligung mehr geltend machen können. Die Tatsache des ausgelagerten Betrages ist unbestritten. Das angerufene Verwaltungsgericht klärt lediglich, ob das Berliner Aufsichtsamt für das Versicherungswesen die Gewinnenteignung der Versicherungskunden hätte untersagen müssen.
[488]
THEODOR VON DER GOLTZ: Die ländliche Arbeiterfrage und ihre Lösung. Danzig 1874, S. 202.
[489]
Vgl. THEODOR VON DER GOLTZ, ebenda, S. 206 und 211.
[490]
Die R+V Versicherungsgruppe wird von der DG BANK als „genossenschaftlich getragenes Versicherungsunternehmen“ ausgewiesen, von deren neun Unternehmen sechs in der Rechtsform der Aktiengesellschaft und drei als Versicherung auf Gegenseitigkeit organisiert sind (vgl. DG BANK: Die Genossenschaften ..., a.a.O., S. 63 f). Detaillierte Informationen findet man etwa in der Arbeit von HARALD THEIS: Kooperatives Marketing von Versicherungsunternehmen. Eine Untersuchung am Beispiel des genossenschaftlichen Versicherers. Marburg 1985.
[491]
„Bis Ende 1927 hatte die Volksfürsorge den Konsumvereinen, Bau-und Siedlungsgenossenschaften, den Bauhütten und Gewerkschaften fast 20 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Durch ihre Anlagepolitik wurde sie zu einer Stütze der gemeinwirtschaftlichen Verbundbildung der 20er Jahre.“ KLAUS NOVY u. a., Anders Leben, a.a.O., S. 58.
[492]
Weiterführend siehe EDUARD MÄNDLE: Das genossenschaftliche Bankwesen. In: Juhani Laurinkari, Genossenschaftswesen, München 1990, S. 530 -546, sowie jährlich aktuell DG BANK: Die Genossenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 17 -36.
[493]
Zahlen von 1991, einschließlich der fünf neuen Bundesländer. Quelle: DG BANK, Die Genossenschaften ..., a.a.O., S. 19.
[494]
OSWALD HAHN: Die Unternehmensphilosophie einer Genossenschaftsbank. Tübingen 1980, S.51 f. In vier Thesen äußert sich Hahn dort über die Aufgabe des klassischen Förderungsauftrages in der Bankpraxis sowie über mögliche Ansätze für ein tragfähigeres Genossenschaftsverständnis.
[495]
HANS-H. MÜNKNER: Strukturfragen der deutschen Genossenschaften, Teil 2, Genossenschaftliche Identität und Identifikation der Mitglieder mit ihrer Genossenschaft, Frankfurt a. M. 1990, S. 15 f.
[496]
Vgl. JÜRGEN LEWERENZ: Die Arbeiterbanken in Lateinamerika und in der Karibik. Frankfurt a. M. 1976, S. 39 ff.
[497]
EMIL WEHRLE: Deutsches Genossenschaftswesen. Hamburg 1937, S. 64 f.
[498]
Vgl. WILHELM PETERS: Zur neuesten Entwicklung des Genossenschaftswesens im Handwerk. Marburg 1906, S. 90.
[499]
Vgl. OSWALD HAHN: Die Unternehmensphilosophie einer Genossenschaftsbank, a.a.O., S. 19 f.
[500]
In der Literatur sind die Begriffe »Tauschmittelfunktion«, »Recheneinheit« und »Wertaufbewahrungsmittel« eingeführt. Vgl. HANS-JOACHIM JARCHOW: Theorie und Politik des Geldes, Teil 1: Geldtheorie, Göttingen 1987, S. 15 ff.
[501]
„Das Wort 'Kredit' hat seinen Ursprung im lateinischen 'credere' (= vertrauen, Glauben schenken). Entsprechend umfassend ist der Sinngehalt dieses Wortes, der in unserer Sprache im wesentlichen zwei Sachverhalte erfaßt: Zum einen besitzt eine Person ganz allgemein Kredit, wenn man ihr vertrauen kann, vorrangig wegen ihres guten Rufs, der begründet sein kann in ihrer Integrität, ihrem Besitzstand und eventuell ihrer sozialen Stellung. Zum anderen, und das ist der überwiegend gemeinte Sachverhalt, versteht man unter dem Kredit weniger den guten Ruf eines Wirtschaftssubjektes als vielmehr eine ihm hauptsächlich aufgrund eben dieses guten Rufes gewährte Leistung, die unter bewußtem Verzicht auf eine sofortige Gegenleistung erbracht wird, also im Vertrauen darauf, daß die entsprechende Gegenleistung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt.“ ANDREAS SCHWENK: Die Kreditwürdigkeit der eingetragenen Genossenschaft. Göttingen 1984, S. 8.
[502]
Die Lösung liegt nicht bei der MARXschen Verknüpfung von Wert und Arbeitszeit, wohl aber bei der OPPENHEIMERschen Verknüpfung von Wert und Arbeitswert. Durch Bildung von Gütergruppen unterschiedlicher technologischer Beschaffenheit wird man feststellen, daß etwa Typ A und Typ B über lange Zeit hinweg in einem konstanten Verhältnis zueinander stehen, während Typ C sich davon abweichend bewegt. Typ C wäre damit gesondert erklärungsbedürftig (Monopolbildung, technologischer Fortschritt etc.), während A zu B eine Konstante beschreiben. Die Veränderung des Güterpreises pro Stück in Geld zu dieser Konstante beschreibt die Geldwertentwicklung. Es gilt hier festzustellen, daß es zu Zeiten des Metallgeldes solange keine »Inflation« gegeben hat, bis neu gefundene Minen und neu erfundene Gewinnungsverfahren den Beschaffungsaufwand des Metalls reduziert und damit das Metallgeld »entwertet« haben. Nur die fehlende Bindung an einen konstanten Ersatzmaßstab steht hinter dem Inflationsproblem. Ob sich die Wertbasis des Kreditgeldes über einen ökonomischen Mechanismus fixieren läßt oder nicht, hat man bis heute meines Wissens nicht systematisch zu Ende gedacht. Weiterführend siehe FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital, S. 304 -358. RALPH GEORGE HAWTREY: Währung und Kredit. Hrsg. von FRANZ OPPENHEIMER, deutsch von LUDWIG OPPENHEIMER, Jena 1926. LUDWIG ERHARD: Wesen und Inhalt der Werteinheit. Dissertation, betreut von FRANZ OPPENHEIMER, Frankfurt a. M. 1925.
[503]
„... der Staat (wird) zum Inflationsgewinner, weil er durch die Ausgabe des Geldvolumens das Eingehen einer Verbindlichkeit vermeidet, für die er Zinsen zu zahlen hätte. Da die Individuen eine bestimmte Realkasse zu halten wünschen, müssen sie im Gefolge der Inflation ihre Nominalkasse erhöhen; das erlaubt es dem Staat, sich durch die notwendig wachsende Expansion des Geldvolumens Güter anzueignen. In diesem Sinne spricht man davon, daß der Staat eine Inflationssteuer erhebt.“ HAJO RIESE: Theorie der Inflation, Tübingen 1986, S. 125.
[504]
Zitiert nach HENRY FAUCHERRE: Die Genossenschaft. Ursprung und Wesen ..., a.a.O., S. 9.
[505]
„HEGEL spricht von einer »falschen Identität«, wenn die Einheit eines in seine Momente zerfallenden Lebenszusammenhangs nur noch gewaltsam aufrechterhalten werden kann.“ (S. 25) „Die Ich-Identität des Erwachsenen bewährt sich in der Fähigkeit, neue Identitäten aufzubauen und zugleich mit den überwundenen zu integrieren, um sich und seine Interaktionen in einer unverwechselbaren Lebensgeschichte zu organisieren.“ (S. 30) Gleiches gilt für die Identität eines Gruppen-Ich. JÜRGEN HABERMAS: Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden? In: Jürgen Habermas, Dieter Henrich, Zwei Reden, Frankfurt a. M. 1974, S. 23 -84.
[506]
Vgl. ADAM SMITH: Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtumsder Nationen. Übersetzung von Peter Thal, Band I, Berlin 1963, S. 329 ff.
[507]
ADAM SMITH: Eine Untersuchung ..., Band II, Berlin 1975, S. 106 f.
[508]
Die »Gewinnabführung« an die Bundesregierung betrug 1992 über 13 Milliarden Mark. Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK: Geschäftsbericht 1992, S. 145.
[509]
Das Problem hat eine zusätzlich verkomplizierende Komponente durch die monopolistische Regelung der Preise auf dem Arbeitsmarkt. Die Gewerkschaften müßten aus eigenem Interesse zu Lohnverhandlungen übergehen, die sich an der Ertragskraft konkreter Unternehmen orientieren. In der Hierarchie der Unternehmen könnte es so eine Abfolge geben bis hinunter zu dem Unternehmen geringster Ertragskraft, in dem sich der letzte benötigte Arbeitsplatz befindet. Um betriebsorientierte Lohnverhandlungen führen zu können, müßte der Gesetzgeber den Betriebsräten allerdings einen Weg eröffnen, damit diese sich auf realistischem Zahlenmaterial gestützt in entsprechende Verhandlungen begeben können. Zahlen erhalten sie zwar schon heute, aber die sind in aller Regel an sensiblen Punkten falsch.
[510]
OSWALD HAHN: Inflationsschutz als genossenschaftliche Aufgabe. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 24, 1974, S. 20 -35.
[511]
Weiterführende Literatur siehe OSWALD HAHN, Inflationsschutz ..., S. 22 f.
[512]
Vgl. zur Einführung GERHARD G. SENFT: Weder Kapitalismus noch Kommunismus. Silvio Gesell und das libertäre Modell der Freiwirtschaft. Berlin 1989. GESELL und OPPENHEIMER sehen nur das Problem ähnlich, nicht die Lösung.
[513]
Vgl. O.V.: Barter-Boom. Entwicklung des organisierten Tauschhandels in den USA. In: Barter, Heft 1/1989, S. 8 -9.
[514]
Vgl. weiterführend HUGO GODSCHALK: Die geldlose Wirtschaft. Vom Tempeltausch bis zum Barter-Club. Frankfurt a. M. 1986. Sowie FRIEDRICH WEISSENBECK und HA. A. MEHLER: Barter -kostengünstig einkaufen, neue Absatzmärkte erschließen, kreativ finanzieren. Landsberg am Lech 1987.
[515]
Vgl. die Zusammenstellung bei CLAUS OELLERKING und MANFRED HOLZGRABE: Sparkassen und Genossenschaftsbanken im Spannungsverhältnis zwischen Moral und Ökonomie: Strukturelemente, Organisationsgrundsätze und Geschäftspolitik. Frankfurt a. M. 1990, S. 117 ff.
[516]
„SCHULZE-DELITZSCH entwickelte im Laufe seiner Tätigkeit ein umfassendes Konzept einer »sozialen Utopie«, in deren Mittelpunkt die Genossenschaften standen. Den »Schlüssel zur Lösung der sozialen Frage« glaubte er in den Produktivgenossenschaften gefunden zu haben. Die Einrichtung von Kreditgenossenschaften war nur ein Teil seines Genossenschaftskonzepts, keineswegs das Hauptziel seiner Bemühungen.“ CLAUS OELLERKING und MANFRED HOLZGRABE, ebenda, S. 81.